«Der Iran zeigt Israel seine eigenen Widersprüche auf»
02. Juli 2008, 20:50 – Von Claudia Kühner - Tages-Anzeiger Online

Der israelische Historiker Haggai Ram kritisiert die Iran-Politik seines Landes. Und erklärt, woher die «Iranophobie» rührt.
Mit Haggai Ram* sprach Claudia Kühner

Der Iran steht in Israel als politisches Thema zuvorderst. Zu Recht?

Israel nimmt die Drohungen sehr ernst. Aber darüber sollte die Frage nicht vergessen gehen, wie ernst Israels Drohungen gegen den Iran zu nehmen sind. Man muss sich zum Beispiel fragen, inwieweit der Libanonkrieg von 2006 die Hauptprobe für einen Schlag gegen den Iran gewesen ist. Damals wurde das verneint. Ich aber halte für wahrscheinlich, dass Israel Angriffspläne ausgearbeitet hat. Neulich hat die Armee ja entsprechende Manöver über dem Mittelmeer durchgeführt, die man als Probe angesehen hat. Selbst wenn dem nicht so wäre, ist meine Sorge aber, dass solche Aktionen und selbst Worte bekanntermassen eine Eigendynamik entwickeln können. Das zeigt auch die Geschichte.
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Es macht den Anschein, dass der Iran alle anderen Themen wie den eigentlichen Nahostkonflikt in den Hintergrund drängt. Stimmt diese Wahrnehmung?

Nicht nur den Nahostkonflikt, sondern vor allem auch die Probleme von Regierungschef Ehud Olmert, seine schlechte Regierungsführung generell, unsere sozialen und ökonomischen Schwierigkeiten. Alle Bemerkungen zum Iran muss man in diesem Kontext sehen.

In Israel wird in Zusammenhang mit dem Iran ein endzeitliches Bedrohungsszenarium aufgebaut. Sie sehen hier einen neuerlichen Missbrauch des Holocaust für politische Zwecke.

Der Holocaust wird uns jeden Tag in die Köpfe gehämmert, schon seit langem. Und jetzt beim Thema Iran. So hat schon Benjamin Netanyahu einst den Iran mit Hitler-Deutschland gleichgesetzt., was absurd ist. Der Iran ist gewiss nicht das grosse Frieden suchende und demokratische Land, aber auch wirklich nicht das wiedererwachte NS-Deutschland und Ahmadinejad nicht Hitler. Israel verliert mit solchen Argumenten an moralischer Kraft. Der Holocaust wird trivialisiert.

Und er wird zu einer politischen Waffe.

Das ist nun genau, was Ahmadinejad tut, und wir spielen nach seinen Vorgaben mit. Bemerkenswert finde ich auch, dass man ihm stets vorwirft, er habe vom Westen keine Ahnung. Mit seinen Drohungen gegen Israel zeigt er, dass er die Wirkung im Westen sehr genau einschätzen kann.

Sie sagen auch, dass Ahmadinejad nicht am «Abzug» sitzt, und beziehen sich damit auf die inneriranischen Spannungen.

Man muss zunächst einfach festhalten, dass sich alle im Iran einig sind, dass das Land Atomkraft braucht, und zwar für die friedliche Nutzung. Selbst wenn viele Iraner von Ahmadinejad enttäuscht sind, stehen sie in diesem Punkt völlig hinter ihm. Und das ist auch ihr gutes Recht. Seit dem frühen 19. Jahrhundert war es das Bestreben der grossen Mächte wie England, Russland oder den USA, den Iran unterentwickelt zu lassen. Dann darf man sich heute nicht wundern über Nuklearpläne. Wir können aber bis heute nicht mit Sicherheit sagen, ob der Iran tatsächlich auch ein Atomwaffenprogramm verfolgt.

Sie weisen in Ihren Forschungen zum israelisch-iranischen Verhältnis auf die einstigen Gemeinsamkeiten hin. Für die Frage, weshalb es nach der iranischen Revolution 1979 zu einem radikalen Bruch kam, haben Sie einen ungewöhnlichen Ansatz gefunden.

Ich betone besonders soziokulturelle Zusammenhänge, die sonst immer vernachlässigt werden. Vereinfacht gesagt, sahen sich die beiden Staaten bis zum Ende des Schah-Regimes als «Europa im Nahen Osten», vor allem im arabischen Nahen Osten, in den auch noch die Sowjetunion vordrang. Darin bestärkte man sich gegenseitig und arbeitete eng zusammen.

Was änderte sich nach 1979?

Die Machtübernahme der Religiösen im Iran hat die Wahrnehmung Israels von den beiden «westlichen» Staaten als schiere Fantasie entlarvt. Israel wurde sich, gewollt oder nicht, seiner nun ebenfalls immer sichtbarer werdenden eigenen ethnischen und religiösen Spannungen bewusst. Und die enthüllten, dass auch Israel nicht «Europa im Nahen Osten» ist.

Sie sprechen heute von einer «Iranophobie».

Ja. Sie ist Folge einer Art moralischer Panik im eigenen Land gegenüber den «Aussenseitern im Innern»: die orientalischen Juden und die Ultraorthodoxie. Es geht um den «jüdischen» Staat, der bisher aber auch als säkular gesehen werden wollte. Der Iran verweist Israel gewissermassen auf seine eigenen Widersprüche zwischen Nation und Religion. Daher dieser Drang, den Iran zu «verbannen». Vieles daran ist irrational und exzentrisch, und man kann das auch nicht heranziehen als Erklärung für alles. Aber das sind wichtige Aspekte dieser Iranophobie.

* Haggai Ram, 1960 geboren, lehrt Geschichte an der Universität von Beer Sheva. Im Herbst erscheint sein Buch «Iranophobia: The Cultural Logic of an Israeli Obsession» bei Stanford University Press.

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