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Spanischer Richter fordert, die Verantwortlichen der Irakinvasion wegen Kriegsverbrechen anzuklagen

Von Vicky Short
18. April 2007
aus dem Englischen (27. März 2007)

Der spanische Richter Baltasar Garzón, der schon versucht hatte, den chilenischen Diktator General Augusto Pinochet vor Gericht zu bringen, fordert, US-Präsident George W. Bush und seine Helfer für die Kriegsverbrechen im Irak anzuklagen.

In einem Aufsatz in El Pais zum vierten Jahrestag der Invasion erklärt Garzón, "Heute, am 20 März, sind vier Jahre seit dem Beginn des Krieges gegen den Irak vergangen. Ausgehend von den Vereinigten Staaten und England, und mit der Unterstützung Spaniens und anderer Länder, begann eine der schmutzigsten und abstoßendsten Episoden der jüngsten Geschichte.

Unter Bruch jedweden internationalen Rechts und unter dem Vorwand des Kriegs gegen den Terror findet seit 2003 ein verheerender Angriff auf die Gerechtigkeit und das Wesen der internationalen Gemeinschaft statt. In seinem Verlauf blieben Institutionen wie die Vereinten Nationen auf der Strecke und haben sich bis heute nicht erholt."

"Anstatt des Krieges zu gedenken", fuhr Garzón fort, " sollten wir entsetzt sein, anklagen und gegen das gegenwärtige Massaker demonstrieren, das als Konsequenz aus diesem Krieg entstand."

Er schreibt weiter, dass George W. Bush und seine Alliierten wegen ihrer Kriegsverbrechen im Irak letztendlich vor Gericht gestellt werden sollten: "Wir müssen uns genauer mit der juristischen Schuld derjenigen befassen, die für den Krieg verantwortlich waren oder es jetzt sind, und untersuchen, ob es zureichende Beweise gibt, um sie zur Rechenschaft zu ziehen."

"Bei vielen mag es nur eine politische Verantwortung sein, doch Verfahren in den USA scheinen inzwischen in eine andere Richtung zu deuten, wie das Urteil gegen einen Mitarbeiter von Vizepräsident Dick Cheney zeigt [I. Lewis Libby]".

"650 000 Tote sind ein ausreichendes Argument, um sofort und ohne Zögern mit Ermittlungen zu beginnen", fügte er hinzu.

Garzón kritisierte dann den ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten José Maria Aznar scharf, der ebenso wie der britische Premierminister Tony Blair Bushs Angriffskrieg gegen den Irak unterstützte.

"Diejenigen, die den US Präsidenten und seinen Krieg gegen den Irak unterstützten, tragen eine genau so große, wenn nicht größere Verantwortung als er, denn trotz Zweifeln und voreingenommener Informationen begaben sie sich selbst in die Hände des Aggressors, und begingen einen schimpflichen Akt des Todes und der Zerstörung, der bis zum heutigen Tage anhält."

Aznar verteidigt immer noch die Invasion im Irak. Er gab im letzten Monat mehrmals zu, jetzt zu wissen, dass Saddam Hussein keinerlei Massenvernichtungswaffen besaß, fügte jedoch hinzu: "Das Problem war, dass wir nicht schlau genug waren, es früher zu wissen."

Garzón antwortete darauf in seinem Artikel: "Wenn er nicht genug wusste, so sollte man ihn fragen, warum er nicht so umsichtig war, den Inspektoren der Vereinten Nationen mehr Zeit zu geben anstatt in totaler Hörigkeit und Treue zu Präsident Bush das Gegenteil zu tun."

Aus Sorge um eine Ausweitung des Aufstands im Irak auf den gesamten Nahen Osten erklärte Garzón: "Das kriegerische Vorgehen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten hat der Entstehung, Entwicklung und Konsolidierung des größten Trainingslagers für Terroristen in der Welt den Weg geebnet oder sie zumindest unterstützt... Irgendwie haben wir wegen eines beklagenswerten Mangels an Bewusstsein diesem Monster erlaubt zu wachsen und mit jeder Minute stärker zu werden, bis es jetzt wahrscheinlich unbesiegbar geworden ist."

Garzón hat vom baskischen Terrorismus bis hin zu den Bombenanschlägen auf die Madrider Vorortzüge am 11 März 2007 alles untersucht. Die vermutlichen Täter dieser Anschläge stehen gegenwärtig vor Gericht. Er führte die Untersuchung gegen die rechte Terrorgruppe Grupos Antiterroristas de Liberacion (GAL), deren Entstehung der damaligen Regierung der Sozialistischen Partei (PSOE) angelastet wird. Er verbot Herri Batasuna, den politischen Arm der ETA - die erste politische Partei die seit Francos Tod im Jahre 1975 verboten wurde.

1996 erstatte die Fortschrittliche Union der Staatsanwälte (Progressive Union of Prosecutors) Anzeige gegen Mitglieder des argentinischen und chilenischen Militärs wegen des Verschwindens spanischer Bürger unter den Diktaturen in diesen Ländern in den 1970er und 1980er Jahren. Ein Jahr später gab Garzón Haftbefehle unter anderem gegen den argentinischen Marinekapitän Adolfo Scilingo heraus, der 1995 im Fernsehen ein Geständnis über seine Beteiligung an den Todesflügen abgelegt hatte, bei denen Hunderte Gefangene aus Flugzeugen in den Atlantischen Ozean geworfen worden waren. Scilingo wurde festgenommen, als er freiwillig nach Spanien reiste.

Der ehemalige chilenische Präsident Pinochet wurde 1998 in London während einer medizinischen Untersuchung aufgrund eines Haftbefehls Garzóns festgenommen. Monatelang versuchte der Richter den Diktator nach Spanien ausliefern zu lassen, um ihn für den Militärputsch von 1973 anzuklagen bei dem der gewählte Präsident Salvador Allende gestürzt und Tausende von Studenten und Arbeitern getötet wurden. Er signalisierte auch seine Absicht, Richard Nixons nationalen Sicherheitsberater Henri Kissinger zu den Ereignissen in Chile zu befragen, nachdem geheime Dokumente vom US -Außenministerium und der CIA freigegeben worden waren, aus denen hervorging, dass Kissinger sich sehr wohl über die Ereignisse in Chile im Klaren war.

Die Tatsache das solch eine prominente Person des internationalen Justizwesens in aller Öffentlichkeit darüber spricht, Anklage wegen Kriegsverbrechen gegen Führer der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreiches und Spaniens zu erheben, ist ein Anzeichen dafür, dass der gesamte Irakkrieg zu einem Desaster ausartet und ist ebenso eine Reaktion auf die wachsenden Opposition in aller Welt.

Doch seine Erklärung wurde in den Vereinigten Staaten wie auch international so gut wie tot geschwiegen. Kein Presseorgan konnte sich zu einem eigenen Kommentar durchringen, und die meisten gaben einfach eine Reuters Meldung wieder, manchmal mit einer kurzen Ergänzung.

Doch ist die Feindschaft gegen den Irakkrieg und die Besetzung des Landes so stark, dass sogar Teile von Ex-Premierminister Aznars Volkspartei (Partido Popular [PP]) öffentlich erklären, dass das Treffen auf den Azoren, wo er Bushs Entscheidung, den Irak zu besetzen, unterstützte, ein Fehler war.

Unter Hinweis auf diese Kritik meinte die rechtsgerichtete Zeitung El Mundo am 20 März, dass "die PP einer Selbstkritik in Bezug auf den Irak nicht weiter ausweichen sollte."

Obwohl die meisten heutigen Kritiker schon damals gegen die Entsendung von Truppen in den Irak gewesen seien, schreibt das Blatt weiter, "gesteht die große Mehrheit der PP zwar hinter vorgehaltener Hand ein, dass Aznar einen Fehler gemacht hat, selbst wenn nur wenige es öffentlich zu sagen wagen. In seinem Eifer, Spanien zu einem mehr atlantisch ausgerichteten Land zu machen, traute er Bush blindlings, mobilisierte so aber nur den blanken Antiamerikanismus eines Teils der spanischen Gesellschaft. Gleichzeitig vernachlässigte er die Rückwirkung auf die spanische Innenpolitik, die, wie die neue PSOE-Regierung erfolgreich demonstriert, mehr Aufmerksamkeit benötigt, als unsere außenpolitischen Ambitionen."

Nur wenige Stunden, nachdem Garzons in El Pais veröffentlichter Artikel in die Läden und Kioske gelangt war, erklärte der Organisationssekretär der PSOE, Jose Blanco, in einem Interview auf Telecinco, dass jemand für die Folgen der Entscheidung, den Irak zu überfallen, bezahlen müsse. Wenn Bush, Blair und Aznar juristisch zur Verantwortung gezogen werden sollten, dann werde er das unterstützen.



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